Undertow (1993)
Der Paul d’Amour spielt da noch Bass. Rau, rockig. Erst im Nachhinein, nach 20 Jahren immer wieder reinhören, offenbart sich die Genialität der Undertow. Es ist alles schon da! Vieles, was in späteren Alben so neu erscheint, gibt’s auch schon auf der Undertow. Einiges wirkt noch ein wenig wie ein Rohdiamant, aber ich hör es trotzdem raus, ist ja da. Maynard ist so zornig auf dieser Platte. Vielleicht braucht er deshalb auch den Henry Rollins bei der einen Nummer, wobei der Henry da nur ganz ruhig spricht. Wirkt aber deshalb umso gefährlicher, meine ich.
Da gibt’s einen hidden Track als Lied Nr. 69, nach 58 Tracks mit je 1 Sekunde Stille. Und dieser Track hat wieder einen hidden Track nach 10 Minuten Stille. Tool halt.
„Sober“ ist cool. Aber auch wieder: so zornig!
10,000 Days (2006)
Wie eine Bombe ist die 10,000 Days eingeschlagen bei mir. Gerade frisch aus Wien rausgesiedelt, viele Autofahrten, viel Gelegenheit zum Hören. Von der 10,000 Days habe ich ein paar Texte genauer gelesen, von den anderen Platten fast noch nix.
Ich sortiere die 10,000 Days für mich in vier Arten Nummern: Die Coolen, die Wings, Rosetta Stoned und die „beiden anderen“. Die Coolen sind eingängiger, unmittelbarer als die anderen. Das sind Kracher: die fahren alle drei so derartig, es ist unpackbar – ich habe das Talkbox-Solo aus Jambi schon mal erwähnt.
Die Wings: Das sind zwei Nummern[13], die musikalisch und thematisch eng zusammengehören, eigentlich sind die beiden eine einzige Nummer[14]. Die Wings haben ihr Potenzial erst nach einer gewissen Zeit entfaltet, sozusagen als späte Lieblingsnummern. Die coolen sind wirklich cool, aber die Wings… Hammer. Wieder so ein laaaanger Ton im Gitarrensolo. Aber erst nach 6 Minuten Aufbau, das braucht die Nummer halt.[15]
Und dann haben wir da noch die Nummer Rosetta Stoned, als eigene Kategorie. Den inneren Monolog eines schizophrenen Junkies, der von Außerirdischen als „the chosen one“ auserwählt wurde aber sich nicht mehr an die Botschaft, die er vermitteln soll, erinnern kann, sondern stattdessen ständig ins Bett scheißt. Und so klingt es auch. Den Text dieser Nummer habe ich recht bald im Internet recherchiert, weil man auf der Platte so derartig nix versteht bei dem Gebrabbel, auch weil der Maynard so viele Effekte am Mikro hat. Aber die Musik: außerirdisch! Wieder: so viele Wechsel! So verschwenderisch mit den Themen! Aber so notwendig! Und ein brüchiges, dünn klagendes Gitarrensolo, das durch Mark und Bein geht.
Und dann gibt’s noch „die beiden Anderen“: Solide Tool-Nummern, deren Seele hab ich noch nicht gefunden, da kann ich nix sagen.
[13] Die heißen: Wings for Marie (Part 1) und 10,000 Days (Wings Part 2)
[14] Es geht darum, dass die Mama vom Maynard nach ihrem Tod im Himmel die ihr zustehenden Flügel verlangt. Nach einem Leben als brave Christin mit geduldig ertragener halbseitiger Lähmung von mehr als 27 Jahren – eben diesen 10.000 Tagen.
[15] Was ganz was Arges: Man kann die letzte Nummer auf der Platte und die beiden Wings zusammen abspielen, die passen exakt zueinander, dann potenziert sich die Nummer. Sowas gibt’s wohl nur bei Tool.